Jedem Schmuckstück wohnt ein Zauber inne.
Verloren geglaubte Freundschaft
Eigentlich war sie schon viel zu spät dran. Nervös zupfte sie an ihren runden Ohrsteckern. Das machte Rahel immer, wenn sie aufgeregt war. Das Grummeln im Bauch wurde stärker. Es war nicht nur die Sorge, den Zug zu verpassen. Nein, es gab noch einen anderen Grund. Heute würde sie eine alte Freundin wieder treffen. Seit dem Vorfall hatten sie sich nicht mehr gesehen. Absolute Funkstille! Früher hatten sie zusammen die Schulbank gedrückt und wussten einfach alles übereinander. Später war Leona sogar ihre Trauzeugin bei der Hochzeit gewesen. Doch dann war da dieser Tag, der einfach alles zwischen den beiden veränderte. Sie hatten danach kein einziges Wort mehr miteinander gesprochen.
Rahel seufzte und sah auf die Uhr. Noch 20 Minuten bis der Zug losfahren würde. Sie drückte auf das Gaspedal. Eigentlich vermisste sie Leona. Doch sie fühlte andererseits diesen Unmut tief im Inneren, über das, was vorgefallen war und nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Gestern bekam sie dann einen Anruf. Leona würde sich gerne mit ihr aussprechen. Wollte Rahel das? Sie fühlte sich aufgewühlt. In ihrem Gedankenfluss übersah sie fast eine kleine Katze, die eben über die Fahrbahn hüpfte. Rahel konnte gerade noch ausweichen und hielt am Straßenrand.
Puh, das war knapp gewesen. Ihr war gar nicht bewusst geworden, dass sie schon eine ganze Weile die Landstraße gefahren war. Sie kurbelte das Fenster herunter und atmete durch. Die Baumwipfel bewegten sich sanft im Wind hin und her. Von irgendwoher hörte man ein Käuzchen. Sonst war es still. Direkt vor ihr erstreckte sich ein leuchtendes Blumenfeld. Diese Farben - wie auf einer Postkarte. Früher war Rahel am Wochenende oft wandern. Doch mit dem neuen Job fand sie kaum noch die Zeit dazu und hetzte von einem Termin zum nächsten. Eigentlich schade, denn die Natur hatte ihr immer so viel Kraft geschenkt. Sie atmete die frische Luft ein und beschloss etwas zu ändern.
Bestärkt nahm sie die Fahrt wieder auf. Dankbar für diesen kurzen Moment, der ihr die Augen geöffnet hatte. Sie wollte sich wieder bewusster Zeit nehmen für etwas, das ihr wichtig war. Und heute war ein guter Anfang. Sich Zeit nehmen für ihre Freundin Leona. Ihr zumindest die Chance geben, alles zu erklären. Nun war das Grummeln im Bauch verschwunden. Rahel war sich sicher. Das ist die richtige Entscheidung. Die Zugfahrt ging schnell vorüber und schon bald stand Rahel am Bahnhof. Leona kam ihr bereits am Bahnsteig entgegen. Als sie näher kam, fiel Rahels Blick auf ihre Ohren. Die kreisförmigen Ohrringe schimmerten silbern im Sonnenlicht. Es war nicht irgendein Ohrschmuck, sondern genau derselbe, den auch Rahel täglich trug. Sie lächelte. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen.